Wohin führt die Agroforstwirtschaft?
Die ökologischen Wechselwirkungen in Agroforstsystemen sind komplex und allgemeingültige Aussagen über das Verhältnis von Agroforstwirtschaft zur Förderung biologischer Vielfalt fallen nicht leicht. Es gibt sehr viele Gestaltungsformen von Agroforstsystemen und gleichzeitig viele unterschiedliche Bewertungskriterien des Naturschutzes (z.B. Artenvielfalt, Vollständigkeit von Lebensgemeinschaften, Seltenheit, Belastbarkeit etc.). Hinzu kommt, dass auch die verschiedenen Artengruppen, die es zu betrachten gilt, unterschiedlich auf eine Naturschutz-Strategie reagieren können. Kurzum: Es gibt nicht das eine Agroforstsystem und auch nicht die eine biologische Vielfalt.
Das Projekt „Bäume auf den Acker“ ist dazu da, bestehendes Wissen zu ordnen, neue Erkenntnisse über die Artenvielfalt in Agroforstsystemen zu gewinnen und Handlungs-Perspektiven zu ermöglichen: Perspektiven für eine lokal angepasste Förderung der biologischen Vielfalt durch Agroforstwirtschaft.


Bäume auf einem Acker?
Drei Vorteile für die biologische Vielfalt!
Die Förderung der biologischen Vielfalt ist immer eine Frage der Landschaft, in der sie passieren soll. Wie gesagt: Allgemeingültige Aussagen fallen nicht leicht. Dennoch gibt es auf fast jedem Acker oder Grünland drei gute Hinweise darauf, dass der Strukturgewinn durch Agroforstwirtschaft die biologische Vielfalt fördern würde.
Agroforst ist abwechslungsreich
Ein landwirtschaftliches Ökosystem erhält durch die Baumreihen mehr Vielfalt an kleinräumigen Strukturen. So gibt es kühlere und wärmere Bereiche, einen Kronenbereich, Zonen mit unterschiedlicher Bodenbearbeitung und weitere Variationen auf einer zuvor meist einheitlichen Fläche. Die Abwechslung der Strukturen verleiht mehr Pflanzen und Tieren eine eigene ökologische Nische. Es folgen fünf Beispiele unter vielen Gewinnern der Agroforstwirtschaft:
- Die unterschiedlichsten Vogelarten benötigen Gehölze in einer ansonsten offenen Landschaft, um brüten, singen oder jagen zu können und sich zurückzuziehen, so zum Beispiel der Neuntöter oder der Ortolan.
- Viele Fledermäuse können sich mit ihrer Echo-Ortung nur dort orientieren, wo es auch leitende Elemente wie Hecken oder Baumreihen gibt.
- Etliche Wildbienenarten und andere Bestäuber benötigen in ihrem Lebensraum pollen- und nektarliefernde Pflanzen als Nahrungsquelle sowie offenen Boden oder Stängel, in die sie ihre Eier ablegen können. Die richtige Kombination zur Erfüllung ihrer Lebensraumansprüche findet sich häufiger in abwechslungsreichen Ökosystemen.
- In dicht gesäten und intensiv bewirtschafteten Äckern haben Beikräuter oft keine Überlebenschance. Wertvoll wäre nicht nur ihre biologische Vielfalt an sich, sondern auch die Tatsache, dass viele (früher häufige) Tierarten der Kulturlandschaft von ihnen abhängen. Eine zweite Chance erhalten diese Nahrungsnetze zwischen den Bäumen der Agroforstwirtschaft.
- Regenwürmer sind Stellvertreter für viele weitere bodenlebende Organismen. Oft sind ihre Populationen durch Pflügen oder Grubbern dezimiert. In den Agroforst-Reihen passiert in der Regel weniger Störung des Bodens und zusätzliches Laub schützt ihn und bringt Futter für die Würmer.
Diese positive Abwechslung durch Agroforstsysteme kann bestehende Vorkommen von Arten schützen und neuen Arten einen Lebensraum bieten. Im Falle einer Kombination aus extensiver Landwirtschaft und hochwertiger Gestaltung der Gehölzstreifen ist auch die Förderung von gefährdeten Arten möglich.
Agroforst ist anschlussfähig
Eine Naturschutzmaßnahme ohne Anschluss an benachbarte Lebensräume ist oft von ihrer eigenen Isolation am meisten gefährdet. Das liegt daran,…
…dass die Bestände an zu schützenden Tier- und Pflanzenarten darin keinen genetischen Austausch nach außen haben. Durch die Fortpflanzung unter wenigen Vertreter*innen einer Art, kommt es zur genetischen Verarmung, was sie anfälliger gegenüber Krankheiten macht.
…dass auch die einzelnen Lebewesen davon profitieren, wenn sie bei Störung oder Stress abwandern können. Wenn die Gefahr vorüber ist, können sie ihr Habitat wieder neubesiedeln.
…dass viele Arten größere Lebensräume benötigen, als ihnen durch einzelne Naturschutzmaßnahmen ermöglicht werden kann. Zum Beispiel liegen die Jagd- und Schlafquartiere von Fledermäusen häufig kilometerweit voneinander entfernt.
Entscheidend für die Förderung der biologischen Vielfalt auf der Landschaftsebene ist also neben der Qualität der einzelnen Lebensräume (die oben beschriebene „Abwechslung“) vor allem der Anschluss dieser Biotope aneinander. Die ökologische Theorie sieht für die Vernetzung wertvoller Lebensräume sogenannte Wanderungskorridore (länglich) und Trittsteinbiotope (fleckenhaft) vor. Diese bieten aufgrund ihrer Größe für viele Arten nicht den ausreichenden Platz für den Erhalt der ganzen Lebensgemeinschaft einer Art, stellen aber einen lebenswichtigen Bestandteil ihres Verbreitungsgebiets dar. Die zu fördernden Lebewesen können dort kurzzeitig leben und sich stärken oder an ihnen entlangwandern, um den Weg in einen neuen Lebensraum zu finden. Die Bedeutung des Verbunds von Lebensraumstrukturen wird in der Agrar-Ökologie schon lange erforscht und bestätigt, was zu Feststellungen, wie dieser führt: „Wird die durchschnittliche Feldgröße von rund 5 auf 2,8 Hektar verkleinert, hat das den gleichen positiven Effekt auf die Biodiversität, als würde der Anteil naturnaher Lebensräume von 0,5 auf 11 Prozent vergrößert“ (Grass & Tscharntke 2020). Die Baumreihen von Agroforstsystemen können diese Kleinstrukturiertheit imitieren und Wanderungskorridore darstellen. Wenn ein Agroforstsystem als Ganzes ökologisch wertvoll gestaltet ist, kann es auch als Trittstein für viele weitere Arten fungieren.
Agroforst ist ausdauernd
Der Naturschutz in Agrarlandschaften findet in der Regel auf Flächen statt, die auch für die landwirtschaftliche Nutzung oder andere Zwecke geeignet sind. In der landwirtschaftlichen Produktion sind diese Maßnahmen häufig kurzfristig und deren ökologische Aufwertung verfliegt nach wenigen Jahren. Viele Tier- und Pflanzenarten sind dieser hohen Dynamik zwischen Neubesiedlung von Lebensräumen und ihrem Verlust nicht gewachsen. In den historischen Kulturlandschaften gab es für heute seltene Arten noch an den Feldrändern und in Hecken Rückzugsorte, die deren Bestand langfristig stabilisierten. In den vergangenen Jahrzehnten mangelte es an wirtschaftlich erfolgreichen und ökologisch wertvollen Folgemodellen alter Agroforst-Strukturen (Wallhecken, Streuobstwiesen, Waldweiden, etc.). Heute gelingt in modernen Agroforstsystemen etwas beinahe Einzigartiges: Die Baumreihen werden für Jahrzehnte geplant – im Fall von einer Wertholzproduktion übersteigt ihr Fortbestehen häufig 60 Jahre. Das sind Jahrzehnte für die Förderung der biologischen Vielfalt! Der landwirtschaftliche Betrieb hat ein großes ökonomisches Interesse daran, dass die Baumreihen (und damit alle von ihnen profitierenden Tier- und Pflanzenarten) über die gesamte geplante Zeit erhalten und gut gepflegt werden. Damit werden ausdauernde Landwirt*innen zu ausdauernden Naturschützer*innen.
Wohin führt die Agroforstwirtschaft?
Der Beginn einer Reise von Naturschutz und Landwirtschaft…
Agroforstsysteme sind abwechslungsreich, anschlussfähig und ausdauernd.
All diese „per se“-Vorteile können unterschiedlich stark ausgeprägt sein, je nachdem, welche Entscheidungen in einem Agroforst-Betrieb getroffen werden.
In „Bäume auf den Acker“ werden Prozesse der Erprobung, Erforschung und des besseren Verständnisses angestoßen und begleitet. Mit den Demonstrationsbetrieben und durch Veröffentlichungen sowie Veranstaltungen wird der Weg zu Agroforstsystemen
zur Förderung der biologischen Vielfalt weiter ausgestaltet.
